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"Spielen die eigentlich mit Handschellen?" solche und ähnliche Fragen hören sich mehr nach Spaß als nach der Realität an, doch wirklich wusste keiner worauf man sich eingelassen hat. Da kommen einem Szenen von zusammen geketteten Männern ins Gedächtnis, die in ihrer Freizeit einander verprügeln und schwere körperliche Arbeiten ableisten. Szenen wie aus Filmen wie "Die Verurteilten" oder Serien wie "Prison Break". Dass amerikanische Produktionen nicht viel mit der Wirklichkeit zu tun haben und dass in Deutschland vieles anders gehandhabt wird, war jedem bewusst. Jedoch keiner wusste so recht wie es hinter den abschreckenden Mauern, gesäumt von Stacheldraht, aussieht.

Im Zuge des 50-jährigen Jubiläums der Tischtennis-Abteilung wurden ein paar Freundschaftsspiele ausgemacht. Dazu zählte eine lange geplante Partie gegen die JVA Wolfenbüttel. Kontakte wurden wieder aufgenommen und dann ging es am 27.04.2019 in die Justizvollzugsanstalt. Freudestrahlend wurden wir empfangen und man freute sich, dass das Spiel stattfinden konnte.  Sechs "mutige" Spieler nahmen die Herausforderung an und scherzten noch auf dem Parkplatz. Dann die Einlasskontrolle und die ersten Gittertüren wurden aufgeschlossen. Kameras verfolgten die Spieler und nach ein paar weiteren Türen standen wir in einem kleinen Innenhof. Zum Event gehörte auch eine kleine Führung über das Gelände, zumindest den Teil der für Besucher war. Zuerst standen die Spieler vor dem ältesten Gebäude der Anlage. Tatsächlich wurde es schon 1477 errichtet und als Gefangenenlager verwendet. Im weiter Anbau werden heutzutage dort weiterhin Gefangene untergebracht, jedoch ist das Innenleben der Gebäude auf den aktuellen Standard angehoben worden. 20-30 Personen in einer Zelle gehört schon lange der Vergangenheit an. Der Todestrakt und die Hinrichtungsanlage sind lange nicht mehr in Betrieb und dienen anderen Funktionen. Die anderen Gebäude haben eine lange Tradition, so wurden im 19th Jahrhundert die meisten Gebäude errichtet und dienen bis heute weiteren Unterbringungen. Die Tour führt uns zu einem großen Innenhof, die Sauberkeit fiel allen sofort auf. Trotz der Umstände der Gefangenschaft wird in Wolfenbüttel darauf geachtet, dass die Pflege des Geländes und das Wohlbefinden der Insassen nicht leidet.

Die Beete sind ordentlich bestellt, Hecken in Form geschnitten, man spaziert langsam den gepflasterten Weg entlang zur Sporthalle. Dort warteten bereits die fertig aufgebauten Tische auf uns. Ein kleiner Altar zeigt bereits die Mehrfachbenutzung und die Dartboards an der Wand geben ein bisschen Ausblick auf die Sportangebote. Viele Vereine, vornehmlich Fußballklubs, haben sich an den Wänden und der Aufsichtskabine verewigt. Es scheint als ob jeder größere Verein der Region schon einmal hier war. Mit einem kleinen Lächeln sehen wir einen älteren STV Wimpel. Stolz wird berichtet, dass unsere Fußballabteilung schon einmal hier war. Spätestens nach dem Umziehen und frisch in Sportklamotten, hat man fast schon vergessen, dass man gerade in einem Gefängnis ist. Der Sportübungsleiter und Justizvollzugsbeamter Mario Loba belehrt uns zwecks Verhaltensrichtlinien. Im Anschluss erzählt noch ein paar kurze Worte und holt dann seine ausgewählte Mannschaft.

Die Reaktion war das erste Ungewöhnliche des Spiels, denn die Hände wurden geschüttelt und es wurde sich bedankt, dass man da war und viele kamen schon mit einem Lächeln in die Halle. Im Laufe meiner Punktspielkarriere kennt man viele Mannschaften und man spielt eben lieber gegen sie oder quält sich mehr. Klar gibt es auch Mannschaftsfreundschaften und auch ein paar Spiele enden egal wie es ausgeht bei einer fröhlichen Diskussion, doch vor dem Spiel ist meist eine normale Atmosphäre.  Man konzentriert sich auch wenn es nur ein Freundschaftsspiel ist, will eine möglichst gute Figur machen, denn man will doch irgendwie gewinnen. Hier war es anders, wir hatten alle schon gewonnen, wir hatten einen gemeinsamen netten Nachmittag vor uns.

Keinem ging es ums gewinnen, sie wollten einfach nur spielen, erzählen und das gegen andere Personen, gegen Personen die man eben nicht jeden Tag sieht. Es war komisch zu erkennen, dass wir hiermit etwas Gutes taten, ohne wirklich was tun zu müssen. Man spielte seinen Sport gegen Personen, die einfach Spaß am Spiel hatten. Die Regeln wurden wild gemischt und mal wurde bis 11 gespielt und mal bis 21 Punkte. Teilweise staunte man noch über die Spielqualitäten, während man die Ball holen durfte, teilweise war es die Art des Spieles selbst die einen verblüffte. Jeder spielte so wie er dachte mit einer Mischung aus früher gelernten Regeln und einfach Freude. Zwischen den Spielen unterhielt man sich mit den einzelnen Personen und man hatte nie das Gefühl, dass wie in einem schlechten Film ein Aufstand angezettelt wurde, obwohl nur ein Justizvollzugsbediensteter permanent vor Ort gewesen ist.

Die Gespräche waren interessant und jeder hörte sich gespannt die Erzählung des anderen an. Zumindest mir erzählten viele über das Leben davor, über Hobbys und anderes. Ich hatte selbst nie das  Gefühl, dass ich mit einem Gefangenen rede, sondern eher einem Tischtennisspieler. Man merkte gar nicht wie schnell die Zeit verging in den Gesprächen. Ein paar von uns, die wollten,  durften auch parallel Headis einmal kennen lernen. In einer kleinen Einweisung wurden kurz die Regeln des "Kopfballtischtennisspiels" erklärt und dann ging es los. Die scheu sich auf die Tisch abstützen zu dürfen, war zumindest bei mir doch groß und der eigenwillige Aufschlagwechsel nach drei Aufschlägen, statt wie beim Tischtennis nach zwei, brachte mich etwas durcheinander. Doch es war anstrengend und schön. Etwas neues zu entdecken und das Gespräch mit meinem "Lehrer" danach waren für mich persönlich das Highlight, da es ungezwungen und positiv unerwartet war.

Nachdem Spiel gab es noch ein Gruppenfoto zur Erinnerung ein neuerer STV-Wimpel erhielt Einzug in die JVA. Über das kleine Gastgeschenk von uns, wo wir ausrangierte Netze, Bälle und Schläger übergaben, wurde sich ehrlich gefreut. Man hatte das Gefühl hier war es gut aufgehoben und erfüllte seinen eigentlichen Zweck, dem Spaß am Sport und am Tischtennis.

Der Rundgang wurde noch fortgesetzt und ein ordentlicher Fußballplatz wurde uns gezeigt, wobei die viele Arbeit und Zeit zu sehen war. Die Arbeit wurde von den Gefangenen geleistet und diese "Arbeitstherapie" wurde vom Gefängnis so ins Leben gerufen. Während neuere Gefängnis graue Betonwüsten sein sollen, die Information stammt von den Aussagen der Aufsichtsperson und Häftlinge, ist es hier ungewöhnlich grün. Eine kleine selbstgebaute Grillecke lädt fast schon zum bleiben ein. Man schlenderte zum Abschluss über den großen Innenhof, ordentliche Hecken und Beete begrenzen den Weg. Sitzbänke aus wahrscheinlich alten Parkanlagen lassen einen immer mal kurz vergessen wo man ist. Zu Abschluss wird einem das Hochbeet gezeigt, welches Gefangene errichtet haben. Alte Steine wurde recycelt und die Eigenarbeit sparte viele Kosten. Die Gefangenen haben hier die Möglichkeit ihren Aufenthalt selbst zu bessern und ihre Umgebung in Rahmen der Möglichkeiten aufzuwerten. Dieses Konzept der JVA ist wahrscheinlich nirgends statistisch untersucht oder ich weiß es nicht. Doch ich denke das man Menschen, die Fehler gemacht haben, immer noch wie Menschen behandeln sollte und vielleicht wird der ein oder andere weniger wieder zurückkommen, auf Grund dieser Mühe, welche sich die Mitarbeiter der JVA geben.

Für uns endete die Führung nach einem  Zwischenstopp in der Asservatenkammer und der Gedenkstätte des Gefängnisses, in der Freiheit hinter den Gittertüren. Man betrat nicht nur an diesen Nachmittag ein Gebäude und spielte gegen Personen, man betrat, eine für die Meisten, unbekannte kleine Welt, in der wir wahrscheinlich nur die positiven Seiten gesehen haben. Man spielte gegen Spieler, die alle zu Siegern machten mit ihrer Einstellung und die einen zeigten wir gut die Entscheidung war, dieses Freundschaftsspiel zu veranstalten. An dieser Stelle einen herzlichen Dank an die JVA Wolfenbüttel und dem Sportübungsleiter Mario Loba, die uns dieses Erlebnis ermöglicht hat und einen herzlichen Dank an die Mitspieler, die so mutig waren  sich auf das Unbekannte einzulassen.

Dieses Bild wurde dem STV Ringelheim von der JVA zur internen Verwendung zur Verfügung gestellt, Fotorechte hat die JVA Wolfenbüttel

 

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